Regionale Versorgung in der Krise

Hagedorn: „Was geschieht, wenn vor Ort erzeugte Lebensmittel und Energie nicht mehr verfügbar sind?“
Lippe Immer mehr Auflagen, hohe Kostensteigerungen, Globalisierung und Preiskampf gehören auch in Lippe zu den Faktoren, die die Landwirte und ihre Familien belasten, und mittlerweile sogar in ihrer Existenz gefährden. „Was geschieht, wenn vor Ort erzeugte Lebensmittel und Energie nicht mehr verfügbar sind?“, fragt Dieter Hagedorn, Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Lippe. Gemeinsam mit Berufskollegen hat er die Sorgen bei einem Treffen mit der Bundestagsabgeordneten Kerstin Vieregge und dem Landratskandidaten Meinolf Haase (beide CDU) am Mittwoch (21.8.2025) thematisiert.
Die Erdbeerbauern Jens und Erik Hanken nennen im Gespräch konkrete Zahlen: „Bis zu 60 Prozent der Erzeugungskosten sind Arbeitslohn. Der Mindestlohn in Deutschland ist 12,82 € – Tendenz steigend. Betriebe in Spanien zahlen 6,87 €, in Polen 6,10 €. Das steht in keinem Verhältnis und macht uns eine kostendeckende und zugleich wettbewerbsfähige Preisgestaltung unmöglich. Selbst die Tausende Kilometer langen Transportwege fallen da preislich nicht ins Gewicht.“ Dass die heimischen Früchte frischer, aromatischer und mit einer deutlich besseren CO2-Bilanz auf den Markt kommen, beeinflusse die Kaufentscheidung vieler Verbraucher leider immer weniger.
Das seien alarmierende Zeichen: „Wir dürfen landwirtschaftliche Urproduktion nicht ins Ausland abgeben! Die Landwirtschaft versorgt die Menschen vor Ort mit gesunden Lebensmitteln und schafft regionale Wertschöpfung im ländlichen Raum“, so Vieregge. Seit Jahren werde die Stärke des ländlichen Raums beschworen, auch seine Zukunft zu sichern versucht. „Doch die Zukunft der Landwirte und ihrer Familien, die diesen Raum mitgestalten und für Lebensqualität sorgen, wird dabei ignoriert. Das muss sich ändern“, sieht Landratskandidat Haase Handlungsbedarf.
„Um gegenzusteuern, muss jedem Landwirt eigene unternehmerische Entscheidungsfreiheit zugestanden werden“, fordert Kreislandwirt Friedrich Gütschleg. Aktuell belasten immer mehr Auflagen und Kontrollen die lippischen Landwirte. „Unsere Arbeit ist durch überbordenden Bürokratismus völlig überreguliert. Als Unternehmer empfinde ich jede neue Vorschrift als Schlag ins Gesicht. Das Misstrauen, das uns entgegengebracht wird, ist weder berechtigt noch akzeptabel“, sagt Landwirt Frank Meyer zu Ohrsen, der eine Gemeinschafts-Biogasanlage betreibt. Dafür, dass er in fünf Berufsgenossenschaften Mitglied sei und an jede Beiträge zahlen muss, fehlt dem Landwirt das Verständnis. Seine Biogasanlage versorgt unter anderem eine kreiseigene Schule in seiner Heimatgemeinde. Wie lange noch, das hängt ab von Faktoren, die er nicht beeinflussen kann. Zwar kann er sich beteiligen an Ausschreibungen der Bundesnetzagentur, doch die sind zum einen massiv überzeichnet. Zum anderen müssen die erwartbaren Erträge die Investitionen rechtfertigen, die zur Erfüllung erneut weitergehender Auflagen notwendig sind. „Das ist alles andere als sicher“, weiß Meyer zu Ohrsen.
Landratskandidat Haase ist in der Kreisverwaltung der Chef des Bevölkerungsschutzes. Sein Blick geht in Richtung Ernstfall und er weiß um den Beitrag der Landwirtschaft zur Krisenvorsorge. „Dezentrale Energie- und Lebensmittelversorgung ist unverzichtbar. Wir müssen sicherstellen, dass wir regional handlungsfähig bleiben. Darauf sind die politischen Entscheidungen aller Ebenen auszurichten.“ Für den Kreis Lippe sagt er regelmäßige und intensive Abstimmung mit allen Beteiligten zu. „Die Landwirtschaft ist Teil unserer kritischen Infrastruktur. Wir können, dürfen und wollen nicht darauf verzichten.“