Neue ICE – Trasse: Betroffene Bauern in großer Sorge
OWL/wlv (Re) Dr. Friedrich-Wilhelm und Marco Hillbrand stehen auf ihrem Acker direkt am Hof. Auf diesem wachsen Kartoffeln, in anderen Jahren Dinkel oder Zuckerrüben - angebaut für den menschlichen Verzehr. Der Hof Hillbrand ist bei der geplanten ICE-Bahntrasse von Hannover nach Bielefeld gleich mehrmals betroffen. Von den fünf möglichen Trassenvarianten durchschneiden vier ihren Hof und ihre Flächen. „Dann wird auf diesem Acker nichts Vergleichbares mehr wachsen", so Marco Hillbrand. Mehr noch: Wenn die Trassenvariante fünf kommt sind 80 Prozent ihrer Flächen betroffen. „Dann ist unser Hof vernichtet, dann können wir das Buch zu machen", so Marco Hillbrand. Bei den anderen Varianten gehen der Familie bis zu 50 Prozent ihrer Flächen verloren.
Betroffen: Trinkwasserversorgung der Bevölkerung
Der Hof mit seinen Ackerflächen liegt in dem großen Wasserschutzgebiet Porta Westfalica - Holzhausen – Eisbergen, dass allein schon eine landwirtschaftliche Nutzfläche von 1.400 Hektar umfasst. Dieses wichtige Einzugsgebiet dient der Trinkwasserversorgung für Porta Westfalica und Minden. „Solch ein Bauprojekt birgt unkalkulierbare Risiken und hat vielschichtige Auswirkungen für den Trinkwasserschutz und die örtliche Trinkwasserversorgung", sagt Dr. Hillbrand. Er geht auch davon aus, dass es für das naheliegende Naturschutzgebiet „Schwatten Paul" noch nicht kalkulierbare Folgen geben wird.
In einem Pressegespräch des Landwirtschaftlichen Bezirksverbandes Ostwestfalen-Lippe (OWL) am Mittwoch (19.5.2021) auf dem Hof Hillbrand in Porta Westfalica-Lohfeld wiesen Landwirte und Berufsvertreter auf die gravierenden Folgen des ICE-Bahnprojektes hin. Von wissenschaftlicher Seite berichtete Prof. Dr. Thomas Weyer, von der Hochschule Agrarwirtschaft, Fachbereich Bodenkunde und Leiter des Labors für Bodenkunde in Soest.
„Wir gehen viel zu leichtfertig mit unser aller Lebensgrundlage, unserer Mutter Erde, um." Bezirksverbandsvorsitzender Antonius Tillmann mahnt in seiner Eröffnung einen sensibleren und verantwortungsvolleren Umgang des Schutzgutes Boden an als bisher. „Wir können uns aus vielerlei Gründen den verschwenderischen Umgang mit der endlichen Ressource nicht mehr leisten", betont Tillmann und fragt: „Warum bauchen wir überhaupt den Ausbau dieser Strecke?" Es müsse doch gesamtgesellschaftlich und nachhaltig weitergedacht werden. Ein Effekt in diesen Coronazeiten sei, dass sich durch Home-Office, Mobiles Arbeiten und digitale Konferenzen der geschäftliche und berufliche Verkehr verringert habe. Dieses wird auch zukünftig eine große Rolle spielen.
Der Betrieb Hillbrand ist nur ein Beispiel für viele Landwirte, denen ein ähnliches Schicksal droht. „Die Bauern der betroffenen Landwirtschaftlichen Kreisverbände Minden–Lübbecke, Herford-Bielefeld und Lippe sind gegen die Neubautrasse des ICE. Die Landwirtschaft sei Hauptbetroffene. „Wir verschließen uns nicht der Verkehrswende mit mehr Verkehr auf der Schiene", unterstreicht Rainer Meyer, stellvertretender Bezirksverbandsvorsitzender und Kreisverbandsvorsitzender Minden-Lübbecke. Aber es müsse verträglich für Mensch, Natur und Steuerzahler sein. Die Zerschneidung zerstöre wertvolle Böden, Landschaft, Natur und Erholungsräume. Auch für die betroffene nicht bäuerliche Bevölkerung seien die Belastungen durch die geplante Trasse, gravierend.
Hügelland, Höhenunterschiede - höhere Eingriffe, riesiger Aufwand
Dr. Hillbrand gibt zu bedenken, dass es sich hier in der Region nicht um eine flache Landschaft, sondern um eine mit Bergen und Hügeln handele. „Dazu haben wir die Weser und die Weserauen. Dies alles erfordert enorme Verschiebungen an Mutterboden, Sprengungen durch das Wesergebirge und riesige Bauprojekte", prognostiziert der Landwirt. All das - Tunnel, Trog, Dämme oder Brücken - sei notwendig, die Kosten immens und unverhältnismäßig. Werden die veranschlagten Baukosten von 5 -10 Milliarden Euro überhaupt ausreichen? Aus allgemeinen Erfahrungen heraus werden öffentliche Aufträge oft teurer als vorher kalkuliert. Nicht zu vergessen, die fatalen Eingriffe in Natur und Umwelt, die Heimat und Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen zerstören.
Niemandsland
Schon jetzt sterben viele Wildtiere auf der Autobahn A 2. „Wenn eine neue Bahntrasse kommt, wird es zwischen der Autobahn A 2 und der Bahntrasse ein Niemandsland geben, infolge Lärmschutzwände, -mauern und -wällen ein abgeriegelter Korridor." Denn die neue Bahntrasse werde nicht wie verlautbart autobahnnah liegen können. „Dies ist schon aufgrund der kurvenreichen Strecke der A2 und der Höhenunterschiede nicht machbar", erläutert Dr. Hillbrand.
Für die Landwirte ein wichtiger Kernpunkt, so Rainer Meyer, sei der gewaltige Flächenverbrauch und damit der Verlust der Produktionsgrundlage. Dieser könne, wie bei Familie Hillbrand bis zur Aufgabe des Hofes führen. „Dabei ist nicht nur der Flächenverlust durch den Bau der Trasse selbst relevant, sondern auch durch die naturschutzrechtlichen Ausgleichsmaßnahmen", erläutert Bezirksverbandsgeschäftsführer Stephan Sauer.
Lebensgrundlage für Landwirte und Lebensmittelgrundlage vernichtet
Elementar seien die land- und forstwirtschaftlichen Böden vor allem für die Erzeugung unserer hochwertigen regionalen Nahrungsmittel sowie nachwachsender Rohstoffe, schildert Prof. Dr. Weyer. Diese Bedeutung werde zukünftig im Zuge des voranschreitenden Klimawandels noch wesentlich wichtiger werden. „Wir verfügen glücklicherweise über fruchtbare Böden, klimatisch begünstigte Standorte", sagt Prof. Weyer. Viele andere Menschen auf der Welt wie in Afrika wären froh, diese zu haben, bekräftigt Rainer Meyer.
Böden speichern 20 Prozent der CO₂-Emissionen
Böden fungierten als wichtiges Regelungs-, Filter- und Puffermedium für Nähr- und Schadstoffe, hebt Prof. Weyer hervor. Die CO₂-Speicherung sei zudem eine bedeutende Bodenfunktion, die zum Eindämmen des globalen Klimawandels noch wichtiger werde. „Rund 20 Prozent der aktuell vom Menschen verursachten CO₂- Emissionen können von Böden gespeichert werden", berichtet der Professor. Böden stellten somit eine der wesentlichen CO₂-Senken dar.
Warum Flächenverbrauch bei stagnierender Bevölkerung?
Ein wichtiger Grund, um den Boden zu retten: „Wir wissen, dass die deutsche Bevölkerung nicht mehr wachse. Warum werden immer noch wertvolle Böden verbraucht", fragt Tillmann. Die letzten Jahrzehnte zeigten einen alarmierenden, flächenhaften und vielfach irreversiblen Zugriff auf Acker- und Grünland und das bei stagnierender Bevölkerung, betont Prof. Weyer. Er ist sich sicher: „Die ICE-Neubaustrecke wird den Flächenverbrauch weiter anheizen."
Nutzen und Folgen konsequenter abwägen
„Die Notwendigkeit und der tatsächliche Nutzen neuer Infrastrukturvorhaben wie die ICE-Neubaustrecke müssen - für eine generationsübergreifende Verantwortung - konsequenter den negativen Auswirkungen gegenübergestellt werden", fordert Prof. Weyer. Die endliche Ressource Boden müsse bei der Planung innerhalb der Raumwiderstandsanalyse erheblich stärker gewichtet werden.
18 Minuten Fahrzeitverkürzung stünden in keinem Verhältnis gegenüber den gravierenden Folgen für Natur, Klima und Bevölkerung, führt abschließend Rainer Meyer vor Augen. „Hier müssen wir als Land, das sich selbst oft als Vorreiter bezeichnet, endlich zu unserer Verantwortung stehen", mahnt Tillmann. „Wir haben nur einen Planeten. Das sind wir unseren Kindern und Enkeln schuldig!"
Landwirtschaft gegen ICE-Neubautrasse
Was bedeutet das für die Landwirtschaft konkret?
- Immenser Flächenverlust für viele Höfe und damit Verlust der Produktionsgrundlage für hochwertige regionale Lebensmittel
- Gefährdung der Existenzen landwirtschaftlicher Familienbetriebe
- Zerschneidung von Acker- und Grünlandflächen
- Höherer Aufwand und höhere Kosten in der zukünftigen Bewirtschaftung
- Wertverlust des verbleibenden Grunds und Bodens, der Hofgebäude
- Zusätzlicher Verlust von landwirtschaftlicher Nutzfläche durch Ausgleich- und Ersatzmaßnahmen (siehe Ortsumgehung Bad Oeynhausen und A33)
Was bedeutet das für die Bevölkerung konkret?
- Verringerung der Wohn- und Lebensqualität, besonders bei Neubau der Trasse
- Erheblich mehr Lärmemissionen
- Wertverlust von Eigentum und Grundbesitz
- Ländlicher Raum verändert sich außerdem durch Aufgabe von landwirtschaftlichen Betrieben
- Verlust von Biodiversität und Artenvielfalt
- Zerschneidung von Landschaft, Natur, Naherholungsgebieten
Was bedeutet das für die Gesellschaft?
- Immense Kosten für die Steuerzahler: Veranschlagt sind 5-10 Milliarden Euro. Werden diese ausreichen? Aus allgemeinen Erfahrungen heraus werden öffentliche Aufträge oft teurer als vorher kalkuliert.
- Fatale Eingriffe in Natur und Umwelt, die Heimat und das Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen zerstören.
- Verlust des Bodens als wichtiges Regelungs-, Filter- und Puffermedium für Nähr- und Schadstoffe sowie zur CO₂-Speicherung. Rund 20 Prozent der aktuell vom Menschen verursachten CO₂-Emissionen können von Böden gespeichert werden. Böden stellen eine der wesentlichen CO₂-Senken dar.
- Beeinträchtigungen der Trinkwasserversorgung
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