Kreisverbandstag | 1. Dezember 2023

Wissenschaft und Handel raten: "Wandel annehmen! Raushalten keine Perspektive!"

Spannende Talkrunde im Vennehof. Achim Spiller und Markus vom Stein (REWE Group) zeigen Landwirten Zukunftsperspektiven auf. Kreisverbandsvorsitzender Markus Weiß sieht Agrarbranche gerade im Westmünsterland für Nachhaltigkeitslabel gut aufgestellt.

Zum heutigen Kreisverbandstag erwartet der WLV insgesamt rund 300 Gäste im Vennehof in Borken. Beim alljährlichen Stelldichein der Agrarbranche geht es in diesem Jahr insbesondere um Zukunftsperspektiven für die Tierhaltung im Westmünsterland. Zuletzt hat vor allem die Zahl der Schweinehalter in der Region dramatisch um 10 Prozent und mehr pro Jahr abgenommen, sagt Markus Weiß. Der Kreisverbandsvorsitzende fordert Rahmenbedingungen von Politik und Handel, um Deutschland als Produktionsstandort für Milch, Fleisch, Gemüse und Co. zu sichern: „Immer wieder hören wir - spätestens seit dem unsäglichen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine - dass wir uns nicht zu sehr in Abhängigkeiten begeben dürfen. Bei dem meiner Meinung nach wichtigsten, bei gesunden Lebensmitteln, sind wir auf bestem Wege. Das kann nicht richtig sein.“


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Eindrücke und Zitate vom Kreisverbandstag

Hochkarätige und regional wie bundesweit wichtige Referenten tragen beim Kreisverbandstag im Borkener Vennehof vor. Wir geben hier einige Eindrücke wieder.

"Transformation geht nur mit den Bauern, nicht gegen sie!"

Bürgermeisterin und damit Gastgeberin in der Stadthalle ist Mechtild Schulze Hessing. Sie beantwortet in ihrem Grußwort die Leitfrage der Veranstaltung "Nachhaltigkeit auf deutschen Tellern - Transformation mit oder gegen die heimischen Bauern?" Das kann nur gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bauern gehen. Dafür sollten wir uns alle einsetzen. Ich wünsche der Landwirtschaft dafür die gesellschaftliche Wertschätzung, die sie verdient hat. Behalten Sie Innovationskraft, Engagement und Freude, um den landwirtschaftlichen Sektor weiterzuentwickeln.

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"Pure Ideologie, die Landwirten das Leben schwer macht"

Landrat Dr. Kai Zwicker kritisiert in seinem Grußwort unter anderem das Ausmaß der Auflagen in der Landwirtschaft: Ich kann darüber nur mit dem Kopf schütteln: Das hat mit gesundem Menschenverstand nichts mehr zu tun. Das ist pure Ideologie, die gerade auch Ihnen als Landwirte das Leben immer schwerer macht. Ich will hier nicht auf einzelne Bestimmungen und Vorschriften der vergangenen Jahre eingehen und mag schon gar nicht an das denken, was sich die Ampel-Koalition getrieben von den Grünen womöglich noch alles einfallen lässt. Ich möchte an dieser Stelle nur eines sagen: Mit immer neuen Verboten und Auflagen – verbunden mit einer inzwischen völlig überzogenen Bürokratie – wird weder den Tieren noch der Natur und auch nicht den Menschen geholfen. Es wird nur unserer Landwirtschaft geschadet!

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"Pflanzenschutz-Reduktion mit Sachverstand, nicht mit der Brechstange!"

WLV-Kreisverbandsvorsitzender Markus Weiß aus Borken begrüßt die Ablehnung der SUR-Richtlinie auf EU-Ebene: "Das st im Übrigen kein schwarzer Tag für die Umwelt, wie Grünenpolitikerin Sarah Wiener als Berichterstatterin zur SUR im Umweltausschuss sagte. Im Gegenteil, es ist ein guter Tag für den kooperativen Naturschutz und für die Sicherstellung einer gesicherten Nahrungsmittelherstellung. Wir können Pflanzenschutzmittel einsparen. Das beweisen wir seit vielen Jahren. Mit unserem Know-How, unterstützt durch fundierte Beratung vor Ort und den Einsatz immer modernerer Technik – Stichwort Precision Farming – werden wir das auch zukünftig weiter tun. Da geben wir unser Wort drauf. Aber das funktioniert nicht mit der Brechstange und flächendeckenden Totalverboten."

 

Videoausschnitt zum Thema Pflanzenschutz aus der Rede von Markus Weiß
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"Es braucht ein Bekenntnis von Politik, Gesellschaft und auch vom LEH, dass man unsere Erzeugnisse will."

WLV-Kreisgeschäftsführer Jörg Sümpelmann beschreibt in seinem Tätigkeitsbericht das Dilemma der Landwirtschaft angesichts zunehmender Anforderungen auf allen Ebenen: "Der Verbraucher kauft ganz überwiegend nach Preis. Dementsprechend bietet der LEH eben auch Erzeugnisse an, die vielfach nicht einmal aus der EU stammen. Ob dabei Klimaschutz, Tierschutz oder Naturschutz mit unseren Maßstäben gelten, ist oft nicht klar, aber offenbar auch nicht so wichtig. Mit unseren teuren Standards mithalten und gelistet bleiben, ist dabei oft nicht möglich. Unsere Botschaft heute ist: Wenn wir auch zukünftig heimische Lebensmittel im Supermarkt finden wollen, dann müssen wir in Deutschland dafür auch was tun. Bauern brauchen Verlässlichkeit und das Bekenntnis von Politik, Gesellschaft und auch vom LEH, dass man unsere Erzeugnisse will."

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"Der Handel hat die breitesten Schultern, um Wandel durchzusetzen"

Professor Achim Spiller von der Uni Göttingen stellt in seiner Situationsbeschreibung heraus, dass die Ernährungswirtschaft die Politik auch nach dem Ende der Borchert-Kommission und der aktuellen Haushaltsprobleme nicht aus der Pflicht lassen dürfe: "Aber man muss auch sehen, dass der Handel die höchste Flexibilität, sich auf gesellschaftlichen Wandel einzustellen. Wenn der Handel seine so erklärte Rolle als Food-Transformator wahrnehmen will, dann braucht es auch Verlässlichkeit. Wer die breitesten Schultern hat, hat da auch die größte Verantwortlichkeit.“

Den anwesenden Landwirten stellt der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats des BMEL eine aus seiner Sicht unvermeidbare Zumutung in Aussicht: "Die Geschwindigkeit des Wandels wird nicht abnehmen. Die Landwirtschaft sollte sich konstruktiv beteiligen - raushalten geht nicht. Dem Handel sollten die Landwirte ein faires Vorgehen einfordern."

"Der Handel wird weiter Zeichen setzen und Standards neu definieren!" Videoausschnitt zum Statement von Professor Spiller
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"Der wichtigste Akteur in der Vermarktungskette ist der Kunde"

Bereichsleiter Markus vom Stein führte beim Kreisverbandstag den Ansatz des von der REWE-Group in diesem Jahr ins Leben gerufenen Kompetenzzentrum Landwirtschaft aus: „Wir wollen als REWE Group die Aspekte Nachhaltigkeit und damit verbunden auch Regionalität und Tierwohl weiter ausbauen. Dafür müssen wir Sie als Landwirte sowie die weiteren Marktpartner mitnehmen, aber auch den wichtigsten Akteur in der Kette: Den Kunden. Und da muss man vielleicht auch selbstkritisch sagen, dass alle Marktpartner in den letzten Jahren vielleicht zu wenig für ein positives Image von Fleisch getan und darüber geredet haben. Wir müssen unseren Kunden auch erklären können, dass und warum wir mehr Geld für die Ware haben müssen.“

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"Ich setze weiter auf mehr Tierwohl - auch in geschlossenen Ställen"

Hubertus Beringmeier steht inhaltlich weiterhin hinter den Empfehlungen der Borchert-Kommission: "Es wird in der Tendenz auch weiterhin Richtung höhere Haltungsstufen gehen." Der WLV-Präsident sieht allerdings entgegen den Ankündigungen des Handels die Tierhaltung 2030 nicht flächendeckend in Haltungsstufe 3: "Das verkorkste Tierhaltungskennzeichnungsgesetz wird uns jedenfalls nicht dahin tragen, in Sachen Finanzierung und emissionsrechtlich sehe ich da überhaupt keine realen Ansätze. Ich kann doch den Tierhaltern hier in Borken nicht sagen: Geld gibt’s nicht, aber macht trotzdem Haltungsstufe 3 und 4." Bei Neubauten würde er heute für die höheren Haltungsstufen bauen. Aber als Schweinehalter fordere er weiterhin Perspektiven für mehr Tierwohl in geschlossenen, bestehenden Ställen: "Das geht über die Initiative Tierwohl, also Haltungsstufe 2. Das ist nicht rückwärtsgewandt, sondern realpolitisch. Die Borchert-Kommission hat den Finanzierungsbedarf auf vier Milliarden pro Jahr beziffert, Özdemir gibt uns einmalig eine Milliarde." Der WLV werde da weiter am Ball bleiben und den Finger bei Politik und Handel in die Wunde legen und für Perspektiven kämpfen: "Wir sind hier an einen Gunststandort, die Tierhaltung hat auf jeden Fall eine Zukunft."

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"Wie haben die Genehmigung - aber es fehlt an allen Ecken und Enden an Planmäßigkeit"

Fachschüler Jonathan Vornholt  aus Borken in der Podiumsdiskussion beim Kreisverbandstag: „Wir haben vor drei Jahren mit den Stallbau-Planungen begonnen und jetzt seit diesem Sommer die Genehmigung auf dem Tisch für einen Außenklimastall mit Schweinen auf Stroh, also für Haltungsstufe 4. Ob wir tatsächlich bauen, wissen wir allerdings nicht. Wir haben noch keinen Vermarkter. Die Stallbau- und Finanzierungskosten sind - wie jeder weiß – explodiert. Zudem müssten wir wohl beim ursprünglich avisierten AFP-Förderprogramm wohl noch mal neu denken. Es fehlt also an allen Ecken und Enden an Planmäßigkeit und ohne das werden wir da jetzt nichts machen."

"Damit wir bauen können, müsste es auch mal schneller gehen." Videoausschnitt des Statements von Jonathan Vornholt
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"Nach drei Jahren alles wieder umschmeißen? Das kann nicht funktionieren"

Fachschülerin Vera Robers aus Borken ist mit auf dem Podium beim Kreisverbandstag und schildert die Probleme, vor denen sie als Sauenhalterin jetzt steht: „Was uns Junglandwirten am meisten fehlt, ist Verbindlichkeit. Wenn man sich entscheidet, zu investieren, muss man sich dann auch verlassen können, dass man in diesen Ställen auch ein paar Jahre wirtschaften kann. Denn das sind Riesen-Investitionen, die ein normaler Betrieb wie wir tätigen würde. Und wenn dann nach drei Jahren die Bedingungen wieder geändert und alles wieder umgeschmissen werden muss, kann das nicht funktionieren.“

"Wir brauchen mehr Verbindlichkeit" - Videoausschnitt Statement Vera Robers
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Kreisverbandstag in Borken mit Özdemir-Berater und Rewe-Group-Manager